Wir sitzen an einem von neun Bahnhöfen in Moskau und warten auf den Zug. Nicht auf irgendeinen Zug, sondern die legendäre Transsibirische Eisenbahn, die uns von Moskau nach Ulan Bator (Mongolei) bringen soll. Die Fahrt dauert ganze fünf Tage und Nächte.
Die Tickets haben wir bereits lange im Voraus gebucht, um noch ein Ticket zu bekommen und etwas Planungssicherheit zu haben. Es gibt drei Klassen im Zug, von eins bis drei. Erste Klasse besteht aus einer Kabine für zwei Personen, in der zweiten Klasse teilen sich vier Personen ein Abteil und die dritte Klasse ist praktisch ein großer „offener“ Waggon, in dem 56 Menschen reisen. Wir wollen nach der Rally etwas „Komfort“ und buchen die erste Klasse. Ein weiterer Grund ist, dass es dort eine eigene Steckdose geben soll und dies ist bei unseren Nacharbeiten zur Rally bitter notwendig. Für zwei Personen bezahlen wir insgesamt ca. 1100 Euro, ohne Verpflegung. Die Tickets lassen wir uns nicht für 56 Euro per Post zuschicken, sondern holen diese jetzt in Moskau vor Ort ab. Das klappt ganz gut und so sind wir bereit für die lange Fahrt.
Mein kindliches Ich mit fünf Jahren hätte sich wahnsinnig auf solch eine Zugfahrt gefreut. Ob mein heutiges Ich noch die gleiche Eisenbahnromantik wahrnimmt, die die legendäre Transsibirische Eisenbahn ausstrahlt? Ich bin sehr gespannt. So haben wir also unseren ganzen Krempel dabei und stapfen um 23 Uhr zum Bahnsteig, Abfahrt ist um 23.45 Uhr von Gleis 5. Vor jedem Waggon steht eine (vermutlich mongolische) Zugbegleiterin, die uns am Waggon 9 freundlich in Empfang nimmt. Englisch hier leider auch Fehlanzeige. Von außen versprüht der Zug allerdings wenig Charme und hat die besten Jahre eher schon hinter sich. Die Dame geleitet uns in unser neues zu Hause für die nächsten fünf Tage. Im langen Gang öffnet sie die Türe von Abteil III. Wir sind gespannt und erwarten Großes. Wir bekommen eher Kleines zu Gesicht. Zwei Betten alias Liegepritschen, ein kleiner Tisch, ganz viele Lampen und insgesamt sind es wohl so 4 qm² an Fläche. Die Decke ist relativ hoch und über der Türe und unter den Betten befindet sich noch Stauraum für unseren Krempel. Einmal probesitzen bzw. liegen und meine Wirbelsäule krümmt sich jetzt schon. Eigentlich kennen wir solch einen Zug aus Vietnam schon, dort hatten wir allerdings nur eine Nacht darin. Hier ist es aber sehr sauber und wir bekommen noch ein Paket bestehend aus Handtuch, Bettlaken und Bettwäsche. Wir richten uns bestmöglich ein und beziehen die Betten. Kurze Zeit später fährt der Zug auch schon los. Etwas verwundert sind wir darüber, dass sich außer uns beiden niemand in unserem Waggon befindet. Natürlich testen wir noch die Steckdose, die sich in etwa zwei Metern Höhe in unserem Abteil befindet. Es passiert nichts… Da es schon sehr spät ist, lassen wir uns vom Zug in die erste Nacht schaukeln.
Die erste Nacht haben wir beide gut überstanden und Daniel ist sehr positiv überrascht über seinen guten Schlaf. Wunderbar. Frühstück wird leider nicht aufs Zimmer gebracht, sondern muss selbst mitgebracht werden. Wir hatten uns im Supermarkt noch Müsli, Milch, Brot und Nutella besorgt. Heißes Wasser gibt es rund um die Uhr über einen kleinen Kessel, welcher mit Feuer betrieben wird und von der Zugbegleiterin gewartet wird. So gibt es für uns noch Tee und wir sind erst mal zufrieden. Die vorbeiziehende Landschaft besteht am Anfang hauptsächlich aus Bäumen (vornehmlich Birken), Wäldern, Häusern und kleinen Dörfern. Die Gegend wirkt ziemlich trist und eher eintönig. Eine Zeit lang ist es unterhaltsam aus dem Fenster zu schauen, dann wird es aber monoton. Wir haben eh noch massig Zeug abzuarbeiten. Wir müssen noch Videos schneiden, Fotos sortieren, Blog schreiben, To-Do Listen erstellen und und und … Ernüchternd muss ich heute feststellen, dass die Steckdose in unserem Abteil immer noch nicht funktioniert. Gut, im Gang gibt es ja auch noch eine Steckdose, die aber ebenfalls nicht funktioniert. Dies ist sehr ärgerlich, da die Steckdose einer der Hauptgründe war, warum wir die erste Klasse gebucht haben. Die Steckdose am Ende des Ganges kurz vor dem nächsten Waggon funktioniert. So muss ich also mein Laptop dort bisschen „verstecken“ und laden lassen. Etwas unbefriedigend, aber muss wohl so sein. Der Tag vergeht heute ganz gut und es ist schon wieder Zeit fürs Abendessen. Von der Rally haben wir glücklicherweise noch ausreichend Beutel Outdoor-Nahrung, so dass wir uns um das Abendessen zumindest keine Sorgen machen müssen. Der erste komplette Tag im Zug ist damit geschafft.
Der Zug hält ca. alle 4-5 Stunden an Bahnhöfen an und macht dort durchschnittlich 15 Minuten Pause. Man kann kurz aussteigen und sich die Füße vertreten. Meist gibt es auch kleine Läden oder Kioske, an denen man sich etwas kaufen kann. Von Getränken, über Süßigkeiten bis zu Fertignahrung gibt es dort eine ganze Menge. Wir steigen immer aus, sobald der Zug anhält. Die Zugbegleiterin gibt uns dann das Signal mit „go go go“ (haben wir ihr beigebracht) und wir steigen wieder ein. Die frische Luft und die Bewegung tut ganz gut. Wir sind immer noch alleine in unserem Waggon. Später kommt eine nette Dame vom Speisewagen und gibt uns zu verstehen, dass es jetzt Lunch geben würde. Neugierig machen wir uns auf in den Speisewagen und nehmen Platz. Ich muss den Platz neben der Türe wählen, da es dort die einzige Steckdose im ganzen Speisewagen gibt. Ich bestelle einen griechischen Salat und Daniel ein Sandwich mit Kaviar (weil Lachs leider alle war). Der Salat wird dann in einem Becher serviert, in dem bei uns zu Hause normalerweise zwei Kugeln Eis verkauft würden. Das Sandwich besteht aus einer Scheibe Weißbrot (1 Mini Scheibe!) und darauf Butter und gelber Kaviar, der aussieht wie Orangenmarmelade. Kurz: Wir waren zum Essen zum letzten Mal im Speisewagen, da nicht der Salat, sondern nur die Preise gesalzen waren. Aber auch kein Problem.
Die meiste Zeit ist die Türe unseres Abteils offen, da sowieso niemand in unserem Waggon ist. Sehr selten laufen andere Mitfahrer vorbei, meist auf dem Weg in den Speisewagen. Bei jedem Vorbeigehen oder jeder Begegnung wechselt ein junger Amerikaner einen Satz mit uns. Stets nur einen. Einmal läuft er vorbei und frägt, ob wir ein paar Bier mit ihm trinken wollen. Er geht jetzt zum Essen und wir können dann ja nachkommen. Waren diesmal schon mehr Sätze. Da alleine essen ja auch irgendwie blöd ist, gehen wir relativ zeitnah hinterher und leisten ihm Gesellschaft. Der junge Mann entpuppt sich als Patrick, 22, aus New York City. Er hat einige lustige Geschichten auf Lager und erzählt stolz von seiner Reise. In einem der vorausgegangen Sätze habe ich bereits angedeutet, dass unsere bisherige Reise eine längere Geschichte sei. Diese möchte er jetzt natürlich hören. Bei der Erzählung werden seine Augen größer, die Ohren gespitzt und er saugt alles auf. Er gibt offen und ehrlich zu, dass er neidisch auf die Rally ist. Bisher dachte er außerdem, dass er der Typ mit der interessantesten Reise an Bord der Eisenbahn sei, aber dies könne er jetzt wohl vergessen. 🙂 Aus dem einen Bier werden schließlich vier (das Bier ist erstaunlicherweise im Speisewagen relativ günstig) und beim Zurücklaufen wackelt der Zug noch mehr als sonst. Kleiner Scherz. 🙂 In Patricks Vierer-Abteil (er ist auch alleine darin) kommt dann noch sein Nachbar vorbei. Dieser ist Mongole und möchte Patrick mongolisch beibringen. Patrick hat schon eine Art Vokabelheft und beherrscht schon ein paar Wörter. Der Mongole namens Sughkar oder so, trinkt noch schnell unser letztes Bier, isst unser Abendessen und wird dann von seiner Frau ins Abteil / Bett gerufen. Auch ok.
Tag 4 der Fahrt mit der Eisenbahn ist angebrochen und wir sind noch immer fit. Der Schlaf ist ganz in Ordnung, aber nach dem Aufstehen tut mir schon der Rücken etwas weh. Heute steht ein landschaftliches Highlight auf dem Programm. Wir fahren am Baikalsee vorbei. Aber nicht nur kurz, sondern mehrere Stunden lang. Der Baikalsee ist mit 1642 Metern der tiefste Süßwassersee der Welt und die ganze Region rund um den See wurde von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. Der See beträgt eine Uferlänge von 2125 km. Mal kurz rundherum schwimmen wäre also eine Herausforderung. Von November bis Mai ist der See meist komplett zugefroren. Aktuell gleitet das Wasser noch dahin wie in einem Meer und sogar kleine Wellen sind erkennbar. Der See ist gigantisch und eine wunderbare Abwechslung zu den Bäumen und Wäldern, die wir meist bisher gesehen haben. Rund um den See sind viele kleine Dörfer oder Städte angesiedelt. Schon allein auf Grund der Temperatur stelle ich mir das Leben hier sehr hart vor. Noch zwei Daten zum See: Der See enthält rund ein Fünftel aller flüssigen Süßwasserreserven der ganzen Welt und sein Wasserinhalt entspricht dem 480-fachen des Bodensees. Beeindruckend!
Russland umfasst alleine elf (11!) verschiedene Zeitzonen. Bei der großen Distanz, die wir mit der Eisenbahn durchfahren, passieren wir auch mehrere Zeitzonen. Es müssen so ca. 5-6 verschiedene Zeiten sein. So genau können wir es gar nicht sagen. Es verrät uns jeweils nur unser Handy. Die Fahrpläne sind alle in der Moskau Zeit, so dass diese hier nicht berücksichtigt werden. Irgendwann ist es deshalb um 14 Uhr schon stockdunkel draußen. Alle Uhren in den Bahnhöfen sind ebenfalls auf Moskau Zeit gestellt, während die Armbanduhren der Bevölkerung eigentlich eine andere Uhrzeit anzeigen. Auch etwas verrückt, aber wir sind in Russland. 🙂
Die Überquerung der Grenze in die Mongolei steht noch aus. Wir erleben wieder etwas Neues und passieren dieses Mal zum ersten Mal eine Grenze mit der Eisenbahn. So halten wir wieder irgendwo an und warten, was passiert. Einige merkwürdige Gestalten laufen durch den Zug. Davon sind einige Soldaten und eindeutig russischer Herkunft. Zuerst besucht uns eine Dame vom Zoll und frägt, wie viele Gepäckstücke jeder von uns hat. Außerdem möchte sie wissen, ob wir Musikinstrumente dabei haben, warum auch immer. Wir haben schon länger aufgehört an den Grenzen alles nach dem Sinn zu hinterfragen. Danach kommt noch ein Soldat, der den ganzen Waggon inklusive unseres Abteils genau inspiziert. Er schaut sogar hinter der Heizung und unter dem Teppich nach. Die letzte Kontrolle widmet sich unseren Reisepässe und wir bekommen den Ausreisestempel. So, wir sind also raus aus Russland. Nach einiger Wartezeit rollt der Zug wieder los und wir stehen an der Grenze zur Mongolei. Das Spiel hier läuft in etwa genauso ab und wir bekommen von der Grenzkontrolle im Zug den Stempel zur Einreise in unseren Pass. Während dem ganzen Prozedere sind wir übrigens immer in unserem Abteil geblieben und mussten / durften dieses nicht verlassen. Wieder eine neue Erfahrung.
Die letzte Nacht in der Eisenbahn steht bevor. Laut Plan kommen wir um 06:35 Uhr in Ulan Bator an. Da es sich hier um Moskau Zeit handelt, müsste es dann in etwa 11:35 Uhr sein. So kann ich abends noch eine Serie am Laptop schauen und morgens ausschlafen. Gesagt, getan. Aber weit gefehlt, ich werde aus dem Tiefschlaf gerissen, da es wohl jetzt plötzlich keine Moskau Zeit mehr gibt und wir also doch am frühen Morgen ankommen. Gut, ist dann halt so. Wir packen unseren Krempel, ziehen das Bett ab und wir sind bereit für unser nächstes Land, die Mongolei!
Good morning, Ulan Bator!
English part:
We are on our way to the next country. This time the way is the target and an adventure for its own. We want to experience some railway adventure and are heading to the glorious transsibirian railway. It will take us from Moscow to Ulan Bator, Mongolia in five days and five nights. Let the adventure begin!
Here we are at one of the nine train stations in Moscow. We are here early, the departure time is 11:45 pm, so it is normally already time to sleep. 🙂 In front of the wagon is one personal train assistant which will guide you to your cabin. We booked first class in advantage. One of the main reasons for first class is, there is a plug connector in your cabin. We want to do lots of things with our laptops and need the power. So, we are in our home for the next five days and nights now. It is … small, but ok. We experienced nearly the same in Vietnam but only for one day there. The advantage of leaving so late: You can go to bed early. 🙂
The first night was quite good and better than expected. We bought something for breakfast the day before, so we are ready for breakfast. In each wagon is a kind of boiler which provides everyone with boiling water. So the tea is prepared easily. The landscape outside the train is interesting. You pass lots of trees, forests, small rivers and even smaller villages. The trees are mainly white birches. After quite a while the landscape gets a little bit monotonous.
We still have a lot of outdoor food from our rally, so it is no need to buy anything. We went to the dining cache once, but this experience was not so good, so it was the only time we went there for dinner or lunch. Some day we went there with an American guy called Patrick. We had a very nice evening with this clever boy. He was so jealous about our rally. Before talking with us he thought he was the guy with the best travel history in the train. He admitted he was wrong. 🙂
The next day we passed the great Baikal Lake. This is really amazing! The lake is so enormous, it feels like a sea. The Lake is 1642 meters deep and so the deepest sweet water lake of the world. The whole area around the Lake is an UNESCO world nature heritage. The coastline of the Lake is 2125 km, which is unbelievable. From November till May the lake is normally frozen. The landscape is really a good change to the other landscape we saw before, so it’s fun again to watch outside the window. 🙂
We still have to pass the Mongolian border. For us it is some kind of new experience to pass a border with a train. So we are stopping at the exit of Russia and some people are boarding the train. They pass each cabin and during the whole border procedure you aren’t allow to leave your cabin. First a lady from custom control comes to your cabin to ask and check how many baggage we have and how many music instruments. We don’t know why she asked for the instruments and stopped wondering anything at border control. After this a solider is coming down the wagon to check each luggage item and he checks also the wagon itself for example under the carpet or behind the heating. The last part is a lady with our wished stamp. Now we have officially left Russia. Nearly the same procedure repeats for entering Mongolia but with a much more friendly tone.
The last night starts and ends unexpectedly early. The whole timetable for the train is in Moscow time. So we expected also to arrive in Moscow time, but, it would be too easy, we arrive in Mongolian time. This is exactly five hours earlier. But ok, here we are in our next country, Mongolia! We are really looking forward to some adventures!
Good morning, Ulan Bator!
Â
- Zurück Russland – (Liebes)GrĂĽĂźe aus Moskau
Funny, it seems you jumped from summer to the winter.
And I want to say that I am the same as Patrick. Jealous a bout your rally